Jul.01

DIE GEOGRAFIE VON „RISIKO“

DIE GEOGRAFIE VON „RISIKO“

Schriftzug der modernen Ausgaben von Risiko (eigene Aufnahme)

Das Spiel

Das Brettspiel „Risiko“ ist mein absolutes Lieblingsgesellschaftsspiel. Es hat alles was man für einen guten Spieleabend braucht: Ein großes Spielbrett, viele Spielfiguren und einen noch größeren „Mensch-Ärger-dich-nicht“-Faktor als „Mensch-Ärger-dich-nicht“. Die Internetseite Spieletipps.de gibt beim Ranking „Die besten Brettspiele, um eine Beziehung zu beenden 2022“ „Risiko“ immerhin den 37. Platz. Und aus meiner Sicht als Geograf hat das Spiel vor allem eines: Karten! Das Original-Spiel hat 42 Gebiete auf 6 Kontinenten, die es zu erobern/befreien gilt.

Die Adaptionen

Das Brettspiel wurde Anfang der 50er von dem französischen Regisseur Albert Lamorisse erfunden. 1957 kam die erste Ausgabe unter dem damaligen Titel „La Conquête du Monde“ (Die Eroberung der Welt) heraus. Mittlerweile gibt es sogar zahlreiche Adaptionen von Filmen, Serien und Videospielen. Eine umfangreiche Auflistung der verschiedenen Ausgaben findet sich hier und hier. Diese gliedern sich nicht unbedingt in 42 Gebiete, da sie in der Regel eine ganz andere Geografie haben, wie z.B. die italienische Batman-Ausgabe von 2018. Die StarCraft-Ausgabe von 2012 hat hingegen 42 Gebieten, obwohl sie nicht auf der irdischen Weltkarte spielt. Wie aber setzen sich die Gebiete des Standard-Spielbretts zusammen? Welche geografischen, sprachlichen und strategischen Besonderheiten gibt es?

Bild 1: Ein Teil meiner Sammlung der verschiedenen Risiko-Ausgaben und Versionen, 16 von insgesamt 24 (einige Aufnahme)

Die Kontinente

Die kartografische Darstellung des Spiels konzentriert sich auf die Kontinente. Es gibt sechs Kontinente, ohne Antarktika. Lediglich für die italienische Neuausgabe des Originals gibt es ein Zusatzspielbrett mit der Antarktis, dem Kontinent plus seinen Eisschelfs. Ein Detail fällt zudem auf: Die Kontinente Europa, Afrika sowie Nord- und Südamerika sind nach dem gängigen Verständnis aufteilt, jedoch wurde das maritime Südostasien Australien anstatt Asien zugeschlagen. Zudem fehlen, je nach Ausgabe, manche Inseln wie die Philippinen, die arktischen Inseln und sogar Neuseeland, auch wenn mit Island, Madagaskar, Japan und Neuguinea vier Inseln wichtige Gebiete des Spiels sind.

Es gibt im Internet sogar eine humoristisch-satirische Tourismuskampagne #getNZonthemap der neuseeländischen Regierung, die den Umstand thematisiert, dass Neuessland gerne und nicht allzu selten bei visuellen Darstellungen der Erdoberfläche auf der Weltkarte „vergessen“ wird. Es wird dahinter sogar eine australisch-französisch-englische Verschwörung (wegen Rugby) vermutet, bei der das Spiel „Risiko“ auch als „Beweis“ herangezogen wird, im Youtube-Video bei 1:05.

Von den 42 Gebieten liegen 12 in Asien, 9 in Nordamerika, 7 in Europa, 6 in Afrika und jeweils 4 in Australien und Südamerika. Hier fällt auf, dass insbesondere Europa (7 zu 10 Millionen km²) und Australien (4 zu 9) als kleinere Kontinente im Verhältnis zur ihrer tatsächlichen Größe mehr Gebiete haben als die größeren Kontinente Südamerika (4 zu 17), Nordamerika (9 zu 24), Asien (12 zu 44) und Afrika (6 zu 30).

Bild 2: Das Standard-Spielbrett von Risiko, Refresh-Ausgabe von Parker von 2016 (einige Aufnahme)

Die Gebiete

Die Grenzen der Gebiete sind je nach Ausgabe, Größe und Darstellung des Spielbretts mal mehr mal weniger akkurat, aber im Großen und Ganzen weichen ihr Schnitt und ihre Form kaum von der Ur-Version ab – ein Wiedererkennungswert wie die feststehende Gebietesanzahl von 42. Ist es bloß Zufall, dass die Antwort auf die Frage „nach dem Leben, dem Universum und dem ganzen Rest“ auch 42 ist?!?

Die Größe der Gebiete variiert erheblich: Vom größten Gebiet „Nordafrika“ mit über 11 Millionen km² bis zum kleinsten Gebiet „Island“ mit nur rund 100.000 km². Im Durchschnitt müsste bei einer gleichmäßigen Aufteilung der Gebiete jedes rund 3,2 Millionen km² haben. Auch in der grafischen Darstellung spiegelt sich die Ungleichmäßigkeit: Island ist wesentlich größer gezeichnet als es in Wirklichkeit ist. Im Vordergrund steht eher eine gleichmäßig flächige Darstellung von 42 ungefähr gleich großen Gebieten, um die Spielarmeen besser platzieren zu können.


Die 42 Gebiete und ihre theoretische geografische Größe, die im Spiel selbst keine Bedeutung hat (Tabelle nach eigenem Entwurf). Die Flächenangaben sind eine Addition der Flächen der dazugehörenden Staaten. Quelle und Zahlengrundlage ist die Internetseite „Citypopulation.de“.

Die geografische Strategie

Wenn man als Spieler jeweils alle Gebiete eines Kontinents erobert/befreit und somit den ganzen Kontinent kontrolliert, erhält man zusätzliche Armeen, was sich wiederum auf die Schlagkraft in der nächsten Runde auswirkt. Daher versucht jeder nachfolgende Spieler wenigstens ein Gebiet eines eroberten Kontinents zu zurückzuerobern, um genau das zu verhindern. Bei den Kontinenten ist aus langjähriger Erfahrung und nach unzähligen Spielen Asien (mit fünf Außengrenzen) am schwersten und Australien (mit nur einer Außengrenze über Indonesien) am leichtesten zu verteidigen bzw. zu halten.

Wegen der Kosten-Nutzen-Rechnung ist Australien der beliebteste Kontinent, da man nur 4 Gebiete halten muss, um 2 zusätzliche Armeen zu erhalten. Während man bei Asien 12 Gebiete mit 12 Armeen halten muss, um 7 Zusatzarmeen zu bekommen … und dabei auch noch von den nachfolgenden Spielern aus allen Himmelsrichtungen angegriffen werden kann. Die Profis versuchen immer, Südostasien (früher Siam) zu besitzen, um zum einen den Zugang zu Australien zu erschweren und zum anderen so die gesamte Eroberung Asiens zu verhindern … nach Möglichkeit mit einer unüberwindbaren Anzahl an Armeen.

Bild 3: Die „Uneinnehmbarkeit“ von Australien über die einzige Verbindung von Südostasien und Indonesien, das geografisch eigentlich zu Asien gehört. Risiko-Ausgabe von Parker aus dem Jahr 2008 (einige Aufnahme)

Die Besonderheiten der Geografie

Von den 42 Gebieten sind lediglich sechs geografisch korrekt: Island, Madagaskar, Japan, Alaska, Jakutien und Brasilien. In den jüngeren Ausgaben wird mittlerweile auch Grönland korrekt wiedergegeben ohne die ehemals zugeschlagenen Anteile am nordamerikanischen Festland (größtenteils das heutige Inuit-Gebiet Nunavut). Einige Einteilungen sind Interpretationssache, je nachdem wo man die Grenzen von Westeuropa, Südeuropa, Ostafrika, den Weststaaten und Oststaaten setzt, wie auch die Einteilung der Welt nach dem Geoschema der UNO verdeutlicht. Zwei Gebiete sind komplett falsch benannt bzw. verortet: Afghanistan müsste eigentlich Zentralasien und Nordeuropa ist geografisch eigentlich Mitteleuropa.

Der überwiegende Teil der Gebiete sind allerdings Territorialeinheiten, die einen „sinnvollen“ Namen tragen … in der Regel einen, dessen Teilgebiet darin liegt, wie z.B. Argentinien und Peru. Sehr große Länder wie die USA, Kanada, Russland und Australien hat man aufgrund ihrer Größe geteilt … interessanterweise Brasilien nicht, obwohl es größer als Australien ist. Und China ist trotz seiner Größe als einziges Land „verkleinert“ worden: Der Nordosten, die Mandschurei, wurde der Mongolei zugeschlagen.

Jahrzehntelang gab es bei den Risiko-Spielern außerdem einen geografisch-strategischen Disput, ob die Gebiete Ostafrika und Naher Osten über den Bab al-Mandab südlich von Jemen durch einen Verbindungsstrich verbunden sind, also ob man von einem Gebiet das andere angreifen kann. Das wurde durch die neueren Auflagen der verschiedenen Hersteller zugunsten der „Ja-Fraktion“ entschieden.

Bild 4: Vereinfachte Darstellung der 42 Gebiete des Original-Ausgabe von Risiko (Wikimedia, Cmglee, CCO BY-SA 4.0)

Die Besonderheiten bei den Gebietsnamen

Bei der Veröffentlichung 1957 hießen einige Gebiete völlig anders bzw. hatten noch keine eindeutigen Namen. Die Flächen trugen mehrere Bezeichnungen, die teilweise korrekter waren als die späteren „festen“ Namen. Bei einer Neuveröffentlichung wurde manchmal die aktuelle politische Situation angepasst, aber nicht immer und nicht immer konsequent.

Kurios und anachronistisch wirkt die Umbenennung des östlichsten europäischen Gebiets von der alten Bezeichnung „Ukraine“ in „Russland“. Was zwar angesichts der geografischen Ausdehnung Russlands in dem Bereich geografisch Sinn macht: der europäische Teil Russlands macht fast 40 % von Europa aus, die Ukraine nur ca. 6%. Jedoch ist die Ausdehnung des Risiko-Gebiets „Russland“ auf die gesamte Ukraine inklusive des Baltikums und des Kaukasus aus dem heutigen Blickwinkel angesichts der Invasion der Ukraine durch Russland fragwürdig. Wahrscheinlich wäre ein neutrale Benennung des Gebiets in „Osteuropa“ sinnvoller. Und wer weiß: Vielleicht kommt diese mit der nächsten Neuauflage des Spiels?

Eine bedeutende Veränderung war daneben die Modifikation von mehreren Begriffsbezeichnungen innerhalb der Spielregeln: So wurde aus dem ursprünglichen „Erobern“ der Gebiete ein „Befreien“ und aus dem „Vernichteten“ der Armeen ein „Auflösen“. Der Hintergrund ist der, dass das Spiel Anfang der 80er aufgrund der militaristischen Ausdrücke als „jugendgefährdend“ eingestuft und erst nach der Änderung der Begriffe vom Index genommen wurde … allerdings erst 25 Jahre später! Somit sind ältere Versionen und Auflagen von Risiko bereits jetzt schon historische Quellen für Geschichte, Geografie und Sprache … ein weiterer Faktor, der das Spiel in meinen Augen besonders macht.

Bild 5: Die zahlreichen, teils schon historischen Namen für die 42 Gebiete der Risiko-Ausgabe von Schmidt-Spiele aus dem Jahr 1982 (einige Aufnahme)

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Über Karl Krzeminski